Margherita Sarfatti
„Ich habe mich geirrt? Was soll’s.“
Jüdin. Mäzenin. Faschistin.
Margherita Sarfatti, hochintelligent, eitel, kunstbesessen. Sie will mehr als man den Frauen ihrer Zeit zugesteht. Keine brave, unterhaltsame Person, sondern Kämpferin, die gestaltet, schreibt, eine ganze Nation verändern will. Den Sinn für Farbe und Form schärft sie sich in ihrer Geburtsstadt Venedig. Dort nennt man sie respektvoll die Rote Jungfrau.
Frauen an die Wahlurne!, Kunst für alle! – so lauten ihre Forderungen in der sozialistischen Wochenzeitung Venedigs. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Cesare Sarfatti kämpft sie für ein neues, glorreiches Italien. In Mailand avanciert sie zur Förderin der Futuristen, zur ersten bedeutenden Kunstkritikerin Italiens. Marinetti, Boccioni, Bontempelli, Toscanini – alles, was Rang und Namen hat, trifft sich in ihrem Salon.
Einer der Besucher wird von ihr besonders geschätzt, ein aufbrausender Rebell mit ausgebeulten Hosen und rollenden Augen: Benito Mussolini. Sein Ungestüm, seine Kompromisslosigkeit, das Sanfte und Unsichere hinter seinem aggressiven Gebaren wecken ihre Neugier und Sympathie. Der zukünftige Duce, Chefredakteur des sozialistischen Avanti!, macht ihr den Hof. Eine Liebelei wie viele andere. Später, nach dem Schock des 1. Weltkrieges, eine alles überbietende Leidenschaft.
Margherita Sarfatti sieht in Mussolini den Retter der Nation. Sie ist es, die ihn an einflussreiche Intellektuelle vermittelt, ihm Bücher zu lesen gibt, ihm bessere Manieren beibringt. In unzähligen Artikeln verhilft sie dem Faschismus zu breiter Akzeptanz und hohem Ansehen, auch im Ausland. Der Marsch auf Rom wird von ihr mit initiiert und finanziert. Fast zeitgleich gelingt es ihr, den Novecento Italiano zu gründen, eine Gruppe von auserwählten Malern, Sarfattis Hoffnungsträger einer italienischen Moderne.
Alma Mahler-Werfel nennt sie die ungekrönte Königin Italiens, Franklin D. Roosevelt empfängt sie im Weißen Haus. Ihr Einfluss scheint unermesslich – bis Mussolini sie nicht mehr braucht und ihrer überdrüssig wird. Vergeblich versucht sie eine Allianz zwischen Italien und Deutschland zu verhindern. Der Grauton ihrer Haare, ihre Fältchen, ihr Machtanspruch, ihr Judentum – äußerst unerfreulich. 1938, nach Einführung der Rassengesetze in Italien, muss Margerita Sarfatti fliehen. Neun Jahre später kehrt sie in ihre Heimat zurück.
Das Porträt einer der ungewöhnlichsten italienischen Frauen des 20. Jahrhunderts, gemeinsam verfasst mit Marianne Brentzel, Autorin von Biografien eigenwilliger Frauen und bekannt geworden mit ihren Büchern über die Nesthäkchen-Autorin Else Ury (siehe Links).